Charity Streaming für NPO #2: Erste Schritte und hilfreiche Tipps

Kaum jemand hat noch nie von den großen Charity Streaming Events gehört, bei denen Millionenbeträge zustande kommen. Welche Fundraiser*innen würden dazu schon nein sagen? Solche Events sind aber eher die Ausnahme, als die Regel. Doch auch in vielen kleineren Charity Streaming Aktionen kommen immer wieder ansehnliche Spendensummen zusammen. Auch neue Leads können akquiriert oder mehr Awareness geschaffen werden. Wie große und kleine Organisationen ihr Fundraising auf diesen Bereich ausweiten können, habe ich mit meinen Interviewpartnern besprochen.

(Falls Du den ersten Beitrag der Serie verpasst hast, findest Du ihn hier: Gaming & Co für den guten Zweck: Charity Streaming für NPO #1)

 

Am Anfang steht die Zielgruppe

Alter 

Wer einen neuen Fundraising-Kanal erschließen möchte, sollte auch wissen, welche Zielgruppe er dort vorfinden wird. Ist sie für die Organisation relevant? Im Streaming-Bereich gibt es eine klare Tendenz, wie mir alle Interviewpartner bestätigen: Es seien tendenziell eher jüngere Leute zwischen 15 und 30 Jahren. Trotzdem finden sich auch genügend, die schon etwas älter sind. Torben sagt, dass er mit der UNO Flüchtlingshilfe in diesem Bereich hauptsächlich Menschen bis 45 anspricht. Wobei das auch davon abhänge, mit welchen Streamer*innen man zusammenarbeitet -denn auch unter ihnen gibt es ältere. 

Balui hat zum Beispiel auch Zuschauer*innen, die über 60 sind: “Vor rund 10 Jahren ist das Streaming groß geworden. Die Zuschauer*innen von damals sind ja auch älter geworden. Man merkt schon, dass die Community mit einem wächst und sie mit steigendem Alter auch mehr Möglichkeiten haben, ihre Streamer*innen oder eine Charity zu unterstützen”, erzählt er. Bernard von ESportsBase betont, dass zwar ihr gewähltes Spiel für das Charity Turnier (Fortnite) eher von sehr jungen Spieler*innen gespielt wird, doch beim Spenden waren es vor allem Leute in den 20ern und 30ern, die sich beteiligt haben.

 

Interessen

Viel wichtiger als das Alter sind im Streaming-Bereich jedoch Interessen und Vorlieben. Angesprochen auf seine Zielgruppe erwidert mir Balui: “Ich würde eher sagen, dass es eine Art Bubble oder Community ist. Die Leute sammeln sich entweder nach Interessen bei Streamenden, die sie abdecken, oder sie mögen einfach die jeweilige Persönlichkeit des Streamenden.

Grob kann man die Zuschauenden also nach Interessengruppen und Fans von einzelnen Personen einteilen. Für Organisationen bedeutet das, dass es wichtig ist, Streamer*innen zu finden, die thematisch gut passen. Jemand, der z. B. gerne beim Spielen eines Landwirtschaftssimulators zusieht, könnte auch an einer Spende für ein Humusaufbauprojekt interessiert sein. Die Community von jemandem, der Talks zu Nachhaltigkeitsthemen macht, wird vielleicht gerne für eine Umweltschutzorganisation spenden.

 

Streamer*in-Community-Beziehung

Screenshot eines Just Chatting-Streams
Im Chat von Balui ist eigentlich immer was los. Gelegentlich veranstaltet er auch Events für die Community „in real life“.

Torben betont die Beziehung zur Community, wenn es um die Auswahl passender Streamer*innen geht: “Im Normalfall feiert die Community den*die Streamende*n ab, der*die den Charity Stream macht. Die Verbindung zwischen Streamer*in und Organisation ist zwar da. Viel wichtiger ist aber, wie eng die Streamenden mit ihren Communities verbunden sind.” Letztlich entscheidet nämlich das darüber, ob die Zuschauenden dem Spendenaufruf des Streamenden folgen oder nicht. Im Grunde ist das ganz ähnlich wie beim Influencer Fundraising.

Die Hauptzielgruppe ist also in der Tendenz jünger, digital-affin, hat spezielle Interessen und eine starke Bindung an den Streamenden.

 

Ziele ins Auge fassen

Wie immer bei Fundraising-Aktivitäten braucht es auch ein klares Ziel. Das könnten im Fall von Charity Streaming zum Beispiel folgende sein:

 

Neuspender*innen-Gewinnung

Da die Hauptzielgruppe tendenziell jung ist, kann das eine gute Quelle für neue Spender*innen sein, die noch ein langes Spender*innen-Leben vor sich haben. Torben erzählt mir als Beispiel dazu von der Organisation DKMS: “Sie versuchen darüber neue Spender*innen zu gewinnen. Sie haben es mittlerweile geschafft, wiedererkannt zu werden, weil sie über Jahre kontinuierlich im Streaming- und Gaming-Bereich präsent waren. So nutzen sie diesen Kanal auch zur Lead-Gewinnung.

 

Mobilisierung

Natürlich können auch Mobilisierung und Öffentlichkeitsarbeit im Vordergrund stehen: “Hauptsächlich geht es um digitales Engagement, aber man kann es natürlich auch schaffen, es in den Offline-Raum zu ziehen. Jedenfalls ist es gerade für digitale Aktionen super spannend, wenn es darum geht, Leute zu aktivieren”, sagt Torben. “Ich glaube, das ist ein guter Weg, um eine jüngere Zielgruppe zu gewinnen und langfristig für die eigene Arbeit zu interessieren, ohne direkt an ihre Geldbörsen zu wollen.” Ob Petition, Aktivismus oder ganz einfach Information – junge, engagierte Menschen dafür sind über Twitch bestimmt zu erreichen. 

 

Projekte finanzieren

Wenn es ums Spenden sammeln geht, sollte man beim Charity Streaming in erster Linie mit einmaligen Spenden rechnen. Besonders gut eignet sich der Kanal für die Finanzierung ganz konkreter Projekte. Denn diese können im Stream gut vorgestellt werden und die Zuschauer*innen genau wissen, für was sie spenden.

 

“Es ist ein ständiges Pitchen, man muss klar machen, dass es Potential hat, dass man da was erreichen kann und eine tolle Zielgruppe hat. Aber es ist auch ein Thema, das gerade bei der etwas älteren Generation kaum bekannt ist. Intern ist da immer viel Überzeugungsarbeit zu leisten.

 

Erwartungen managen

Wer in seiner Organisation Streaming als neuen Fundraising-Kanal etablieren will, sollte sich jedenfalls ein wenig Zeit dafür nehmen. Es gilt nicht nur, sich in einer ganz eigenen Welt zurecht zu finden und Kontakte zu schließen, sondern auch intern Überzeugungsarbeit und Erwartungsmanagement zu leisten. Torben erzählt: “Es ist ein ständiges Pitchen, man muss klar machen, dass es Potential hat, dass man da was erreichen kann und eine tolle Zielgruppe hat. Aber es ist auch ein Thema, das gerade bei der etwas älteren Generation kaum bekannt ist. Intern ist da immer viel Überzeugungsarbeit zu leisten.

Wichtig ist, dass man langfristig diesen Weg gehen will: “Ich glaube es braucht bei Organisationen in Deutschland ein bisschen Mut zum Risiko und den Willen, das auch wirklich zu etablieren. Es bringt nichts, erstmal ein Jahr was zu machen und dann auf den ROI zu schauen. So funktioniert es leider nicht – man muss einen langen Atem haben”, erklärt Torben.

Das läge vor allem daran, dass beim Charity Streaming hauptsächlich Kleinspenden generiert werden. Es seien bei einem erfolgreichen Event zwar durchaus viele Spenden, aber eben keine hohen Beträge. Millionenbeträge, wie sie in den USA oder bei friendly fire in Deutschland erreicht werden, seien hierzulande eigentlich nicht die Norm: “Deswegen muss man etwas vorsichtig sein und mit der richtigen Erwartung an die Sache herangehen”, warnt Torben. 

 

Reinschnuppern

Screenshot der Twitch-Startseite
Bei den unzähligen Streams auf Twitch sollte man für seine erste Orientierung etwas Zeit einplanen.

Wie fängt man also an? Was ist der erste Schritt? Torben ist sich sicher, dass ein Twitch Account den Anfang machen sollte: “Es ist wichtig, dass man sich ein bisschen Zeit nimmt und sich das Ganze einmal anschaut, um dieses Ökosystem zu verstehen. Weil es ist sowohl vom Sprachgebrauch als auch was den Community-Gedanken angeht schon etwas Besonderes. Das sollte man erstmal durchdringen und verstehen, dass man sich in eine Welt begibt, die etwas anders funktioniert als das klassische Fundraising, selbst wenn man Crowdfunding und ähnliches schon gemacht hat.”

Ein weiterer guter Tipp ist es, zu den wichtigen Messen und Conventions der Szene zu gehen. Bei der GamesCon oder der TwitchCon lernt man viel über die Streaming-Welt und kann obendrein auch gleich erste Kontakte schließen: “Es gibt immer auch kleinere Veranstaltungen drumherum wie die DreamsHack oder ESL-Veranstaltungen. Aber wenn man Streamer*innen treffen möchte ist die GamesCon der Anlaufpunkt. Da vorbeizuschauen ist nicht verkehrt, wenn man ein bisschen in die Szene reinkommen will”, meint Balui. Auch Torben findet, dass das gute Gelegenheiten sind, um mit Content Creator*innen in Kontakt zu kommen. Er ergänzt: “Es ist erstmal sehr viel Know How Aufbau, um die Welt zu verstehen und dann kann man nach und nach klein und organisch die Fühler ausstrecken.

 

Passende Streamer suchen

Während man so in die Szene schnuppert, sollte man auch gleich die Augen nach möglichen Kooperationspartner*innen offen halten. Denn nicht jede*r Streamer*in passt zu jeder Organisation: “Wenn man z. B. einen Streamer hat, der andauernd frauenfeindliche oder rechte Parolen rausschmeißt, sollte man sich doppelt und dreifach überlegen, ob man mit dem zusammenarbeiten möchte”, warnt Torben. “Wie bei jeder Kooperation muss man überlegen, ob das passt oder ob die Welten zu weit voneinander entfernt sind. Risiken sind also auf jeden Fall da, aber die kann man sehr gering halten, wenn man ein wenig Arbeit reinsteckt.

Im Grunde sind sich hier alle meine Gesprächspartner einig: Es muss eben passen. Und ob das so ist oder nicht, merkt man eigentlich recht schnell, wenn man sich durch die Kanäle der Streamer*innen klickt. Passt die verwendete Sprache? Passen die Meinungen und Einstellungen? Passt der Content?

Natürlich sollte man auch die eigenen Ziele dabei im Kopf haben: “Man muss schauen, was man überhaupt erreichen will und mit wem man sich dafür verpartnern könnte, seien es Spieler*innen, Entwicklerstudios oder Content Creator*innen”, weitet Torben den möglichen Horizont aus. Denn Möglichkeiten gibt es in der Szene viele, sofern man offen für Neues ist und keine Scheu hat, Kontakte herzustellen.

 

Einfach anschreiben

Wenn man dann seine Liste mit potentiellen Streaming-Partner*innen hat, geht es ans Eingemachte. Bernard meint dazu: “Einfach anschreiben, mehr ist es nicht. Es gibt selten Absagen, sofern die Streamer*innen nicht allzu groß sind. Sobald jemand über 150.000 Follower*innen auf Twitch hat, wird es schwieriger, weil da schon Agenturen dahinter stehen. Da müssen die Streamer*innen auf das OK der Agentur warten.” Gino stimmt seinem Kollegen zu: “Ich finde, Angst vor einer Absage darf man nicht haben. Und wenn man den größten Streamer Deutschlands anschreibt – ich würde es immer wieder versuchen.”

Ok, also einfach mal anschreiben. Aber was genau sollte in so einem Anschreiben stehen? Balui streicht heraus, dass im Anschreiben klar werden muss, dass man zumindest weiß, wer der*die Streamer*in ist und was er*sie macht: “Ich finde, man sollte sich mit dem*der Streamer*in auseinandersetzen und nicht an jeden eine Anfrage schicken, den man finden kann. So kann man auch sagen: Hey, wir finden das, was du machst ziemlich cool.

Ein weiterer Aspekt, den Gino nennt, ist Transparenz: “Es muss sehr, sehr transparent sein und man muss genau sagen können, jeder Euro geht da und da hin und wir können das beweisen. Denn sollte es hier Probleme geben, dann fällt das auch auf den Ruf des*der Streamer*in zurück. Das ist sehr wichtig.

Für jene, denen das Anschreiben Einzelner zu mühsam ist, hat Torben noch einen Ratschlag: “Wir hatten versucht über Twitter, Instagram & Co Streamer*innen anzusprechen. Da haben wir aber gemerkt, dass das sehr zeitintensiv ist. Daher haben wir gerade im letzten Jahr auch viel mit Agenturen zusammengearbeitet, die die Künstler*innen betreuen.

 

Auffallen

Eine weitere Möglichkeit ist es, von Streamer*innen gefunden zu werden. Wenn also jemand einen Charity Stream machen möchte und noch eine begünstigte Organisation sucht, ist es gut, auffindbar zu sein. SOS Kinderdorf hat dafür z. B. eine eigene Landingpage gestaltet, auf der sie ein Spendenaktionstool mit Inserts und Alerts anbieten. Das ist besonders gut gelungen, weil sie damit den Streamenden bereits viel Arbeit abnehmen. 

 

Screenshot der Charity Streaming Landingpage von SOS Kinderdorf
Die Landingpage von SOS Kinderdorf ist übersichtlich und ansprechend gestaltet.

 

Ansonsten ist es oft Zufall, welche Organisationen für Charity Streams ausgewählt werden. So war es auch beim Charity Event der ESportsBase, wie Bernard berichtet: “Von meiner Seite aus war es immer ein Herzenswunsch, charitymaßig was zu unternehmen. Es war eher Zufall, dass es das Kinderhospiz in München geworden ist. Mir hat das sehr zugesagt, weil das ein Thema ist, das in der Öffentlichkeit wenig angesprochen wird und das die meisten gar nicht wirklich wahrnehmen.” 

Das Gino und Bernard für das Charity Event zusammengefunden haben, ist der Social Media Arbeit von Bernard mit der ESportsBase zu verdanken. Durch seine Postings auf Instagram fiel er auf und machte neugierig, so dass Gino sich bei ihm meldete und die beiden ein Gespräch vereinbarten. Auffallen ist also immer gut – auch als Organisation könnte man dadurch dem*der ein oder anderen Streamer*in langfristig im Gedächtnis bleiben. Es wären auch gezielte Social Media Kampagnen denkbar, die sich an die Szene richten.

 

Kooperationen formen

Wenn das nicht bereits beim ersten Anschreiben geschehen ist, sollte man spätestens jetzt ganz konkret werden. Was möchtest Du gemeinsam mit dem*der Streamer*in erreichen? Was könntet ihr genau tun? Im Grunde sind sich auch hier meine Gesprächspartner einig, Gino bringt es auf den Punkt: “Wenn man jemanden anfragt, sollte man zwei bis drei Optionen haben, die man sich vorstellen kann und dann den*die Streamer*in fragen, ob er*sie noch weitere Ideen hat.

Ganz ohne jede Vorstellung sollte man also nicht ins Gespräch gehen. Trotzdem braucht es viel Offenheit und Flexibilität, denn die wenigsten Streamer*innen möchten fixe Vorgaben bekommen: “Das ist ein wichtiges Learning, das wir mitgenommen haben. Man muss die Content-Creator*innen das machen lassen, was sie am besten können. Sie sollen den Content machen, den sie auch im Normalfall machen, damit es dann auch die Community interessiert”, sagt Torben. 

 

Besonderes bieten

Was angeblich immer gut ankommt ist es, Ziele zu setzen und die Erreichung dieser mit etwas Außergewöhnlichem zu verbinden. Zum Beispiel könnte sich ein Streamer vor laufender Kamera die Haare abrasieren, wenn eine bestimmte Spendensumme erreicht wird. Oder das NPO-Team muss live im Stream ein Ständchen singen. Solche Challenges animieren das Publikum zu spenden, sagt Balui, weil es etwas ist, was die Community sonst nicht sieht. Natürlich sollte so etwas aber immer gemeinsam mit den Streamer*innen erarbeitet werden. “Oder die Organisation vergibt bei einer gewissen Summe 10 T-Shirts, die dann live verlost werden. Es gibt ja viele Ideen: Give aways, Spenden verdoppeln, etc.”, ergänzt Balui.

Was jedenfalls eine gute Sache ist – sowohl für das Event als auch für die Organisation – ist es, selbst im Stream aufzutreten. Bernard erzählt über sein Event: “Der Marketing Manager vom Kinderhospiz München hat sich bereit erklärt, ein Interview mit uns zu machen. Das heißt, wir hatten auch ein Vorprogramm zum eigentlichen Turnier.” Beim ersten Mal – sagt er – wollte er den Ball flach halten. Aber zukünftig sei durchaus auch mehr von Seiten der Organisation geplant: z. B. eine eigene Landingpage für das Event. 

 

Selber streamen

Eine weitere Möglichkeit ist es natürlich, selbst auf Twitch zu streamen. Torben erzählt, dass er das mit einem Freund gemeinsam versucht hat: “Wir haben aber schnell gemerkt, dass das sehr zeitintensiv ist. Wenn man das einmal die Woche macht, ist das zwar spaßig, aber bringt nicht so viel. Ich würde also definitiv davon abraten.

 

Darauf einlassen und ausprobieren

Die ersten Schritte im Streaming zu gehen heißt also vor allem, neugierig zu sein und sich auf diese Welt einzulassen. Außerdem sollte man als Organisation mit der richtigen Erwartungshaltung an die Sache herangehen – Streaming ist sicherlich kein Zaubermittel für Spendenreichtum, aber ein vielversprechender Kanal mit zahlreichen Möglichkeiten und einer jungen, engagierten Zielgruppe.

 

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