Gehälter in NGOs - Gutes tun: ja, gut verdienen: nein?

Um eines gleich vorweg zu nehmen: Dieser Artikel ist nicht objektiv. Er ist vollgepackt mit persönlichen Meinungen und subjektiven Emotionen, derer ich mich nicht erwehren kann, wenn es um dieses Thema geht. Ich denke aber, dass es wichtig ist, über dieses Thema zu sprechen – denn hier läuft etwas ganz grundsätzlich falsch in unserer Gesellschaft.

Sinn und echten Wert in der eigenen Arbeit zu sehen, ist unbezahlbar. Doch leider sind Sinn und Wert keine Währungen, mit denen sich Rechnungen bezahlen lassen. Die Frage, wieviel man mit gemeinnütziger Arbeit verdienen darf, ist nicht neu – aber nach wie vor auch nicht gelöst. Viele kennen vermutlich den TED-Talk von Dan Palotta, in dem er anschaulich – aber auch nicht gänzlich unwidersprochen – darlegt, warum das Sparen an “Overhead”-Kosten keine gute Sache ist. Ich bin der Meinung, besonders in Zeiten von Rekordinflation und Fachkräftemangel ist besonders die Frage nach Gehältern eine entscheidende. Gerade dann, wenn wir einen Wandel in Richtung Sinn-Ökonomie vollziehen möchten.

Wer es noch nicht kennt, hier ist zur Einstimmung Dan Pallotta:

Wer Gutes tut, darf keine Gegenleistung verlangen…

…denn sonst ist das Gute ja nicht mehr gut, oder? Diese seltsame Sicht der Dinge ist verbreiteter, als man denken möchte. Ich selbst habe schon oft nach der Auskunft über meinen Beruf die Frage gehört: “Ah, toll…und von was lebst du?” Viele denken immer noch, dass in NGOs nur Ehrenamtliche arbeiten – und sind schockiert, wenn sie hören, dass man dort auch richtige Gehälter verdienen kann.

Zum Glück ist das seltener geworden. Mittlerweile hat man mehr Verständnis dafür, dass jemand, der*die hauptberuflich für eine gute Sache arbeitet, auch Geld verdienen muss. Aber diese Gehälter müssen natürlich angemessen sein. Und hier versteckt sich des Pudels Kern: Was ist angemessen? Ist es angemessen, nach 15 Jahren Berufserfahrung als Fundraiserin ohne Leitungsfunktion ein Vollzeitgehalt von 1.700 € netto zu verdienen? Das wäre jedenfalls branchenüblich. Als Berufseinsteiger*in bewegt man sich meist nah an der Armutsgrenze. Ich finde das nicht angemessen, und ich hoffe, viele andere auch nicht. 

(Nur am Rande: Die Armutsgrenze beträgt für 1-Personen-Haushalte in Deutschland ca. 1.200 € und in Österreich 1.400 €)

 

Moral ist…

…manchmal doppelt. Warum sonst sollte es so sein, dass in der NGO-Gehaltsfrage mit zweierlei Maß gemessen wird? 

Warum ist es z. B. in Ordnung, einem Profi-Fußballer 50 Mio. Euro zu zahlen, der unterm Strich kaum mehr für die Gesellschaft leistet, als sie zu unterhalten – aber wenn jemand in einer NGO daran arbeitet, den Welthunger zu beenden und 0,1 % dieser Summe verdient, ist das verwerflich? Schafft beispielsweise der CEO von BMW tatsächlich so viel mehr Mehrwert für die Gesellschaft, als der Geschäftsführer des Roten Kreuzes? Moralisch wäre es, all jenen, die sich tagtäglich für eine bessere Welt einsetzen, anständig zu bezahlen.

Eine schnelle Kununu-Abfrage liefert zwar vermutlich keine wissenschaftlich aussagekräftigen Ergebnisse, aber zumindest Richtwerte:

  • Marketing Manager*in: 48.800 €
  • Sales Manager*in: 59.300 €
  • Fundraising Manager*in: 43.200 €

Ich habe diese drei Berufe hergenommen, weil sie – wenn auch nicht identisch – so zumindest vergleichbar sind. Ist es gerechtfertigt, dass Marketing- oder Sales-Manager*innen, die im Grunde nichts weiter tun, als mehr oder weniger sinnvolle Produkte an die Kund*innen zu bringen, so viel mehr verdienen, als jemand, der Geld für gemeinnützige Projekte einwirbt? Ich finde nicht.

 

Das eigene Gewissen und die Leidenschaft für die Sache…

…haben ihren eigenen Anteil an dem Problem. Wer seine Stromrechnungen (und alles andere) mit Spendengeldern bezahlt, kennt diese kleine Stimme im Kopf vermutlich. Sie flüstert: “Das ist Geld, das jemand gegeben hat, um die Welt besser zu machen. Nicht, damit ich meinen Wocheneinkauf davon bezahle.” Doch diese Stimme hat Unrecht. Gäbe es nämlich keine Menschen, die sich hauptberuflich um “die gute Sache” kümmern können, gäbe es auch wesentlich weniger “gute Sachen”. Nicht alles kann von Ehrenamtlichen erledigt werden, und nicht alle können sich ein Leben ohne regelmäßiges Einkommen leisten.

Gute Bezahlung für gute Arbeit ist meiner Meinung nach nicht unmoralisch, egal in welcher Branche. Trotzdem fiel es mir immer schwer, in NGOs nach einer Gehaltserhöhung zu fragen. Nicht zuletzt auch darum, weil es so wenig Vergleichsmöglichkeiten gibt. Beim Thema Gehaltstransparenz werden die meisten Menschen plötzlich ganz still – obwohl das ein guter und wichtiger Weg zu mehr Gerechtigkeit, Verständnis und Offenheit und weniger Diskriminierung und Misstrauen wäre.

 

Was verdienst du eigentlich…

…fragte ich einmal den wirtschaftlichen Geschäftsführer einer Non-Profit, in der ich gearbeitet habe, beim Feierabendbier. Zu meiner Überraschung bekam ich eine absolut transparente Antwort – und nicht nur das war überraschend. Der genannte Netto-Betrag lag unter 2.000€ (Vollzeit). Aber bleiben wir beim Thema Transparenz:

Nach dieser ehrlichen Auskunft sah ich mein eigenes Gehalt in völlig neuem Licht. Mir wurde damals klar, dass sich die Gehaltsschere innerhalb von NGOs viel weniger weit öffnet, als in der Privatwirtschaft. Leitungspositionen sind im direkten Vergleich lächerlich schlecht bezahlt, während die Branchen-Unterschiede am “unteren Ende” nur noch wenig ins Gewicht fallen. Das ist einerseits zwar schön, bedeutet aber auch, dass viele gute Leute, die das Wissen und die Erfahrung hätten, auf Management-Positionen in NPOs zu glänzen, diesen Weg gar nicht erst in Erwägung ziehen.

Bei einer weiteren Organisation musste ich diese Frage erst gar nicht stellen. Ich konnte sie mir selbst beantworten – mit einem Blick in das öffentlich einsehbare Gehaltsschema. Das ist z. B. im öffentlichen Dienst, in Universitäten und Krankenhäusern ganz normal – warum eigentlich nicht auch in gemeinnützigen Vereinen?

Wir sind die Guten, weil…

…wir für Veränderung in der Gesellschaft eintreten, sie gerechter und die Welt lebenswerter machen wollen. Doch was ist gerecht daran, Menschen am untersten Limit zu bezahlen? Was ist gerecht daran, dass dieselbe Person in einer Non-Profit nur die Hälfte dessen verdient, was sie sie einem profitorientierten Unternehmen verdienen würde? Als NGO-Menschen wollen wir die Welt verändern. Das machen wir tagtäglich mit unserer Arbeit – wir treten gegen Armut, Ungerechtigkeit und soziale Missstände an. Ist es da nicht unlogisch, dass wir diese sozialen Missstände in unserem jeweiligen Mikrokosmos hinnehmen und sogar reproduzieren?

Ich möchte die Schuld dafür gar nicht den Verantwortlichen in den Organisationen geben. Sie unterliegen einem gesellschaftlichen Druck und müssen Grenzwerte von Spendensiegeln und Gesetzgebern einhalten. Wenn Gehälter nicht “angemessen” (im Sinne von “niedrig”) sind, können der Verlust der Gemeinnützigkeit oder Strafzahlungen wegen Mittelfehlverwendung drohen. Dabei geht es aber eher um Gehälter im 6-stelligen Bereich – etwas, das ohnehin eher selten ist in unserer Branche

 

Was schlecht ist für die Mitarbeitenden…

…ist langfristig gesehen auch schlecht für die Organisation. Das Gehalt spielt zwar eine nebensächliche Rolle bei der Zufriedenheit mit dem Job, aber nur, wenn dafür der Rest stimmt. Das Credo “bloß nicht zuviel Verwaltungsaufwand” sorgt aber häufig dafür, dass dieser Rest eben nicht stimmt. Beim Personal zu sparen endet darin, dass eine Person für ein (kleines) Gehalt den Job von zwei Personen macht. Bei den Arbeitsmitteln zu sparen endet darin, dass diese Person zu wenig Ressourcen hat, um ihre zwei Jobs richtig machen zu können. 

Das Resultat von der Geschichte ist, dass Mitarbeitende ausbrennen oder vorher kündigen. So hat die Organisation nicht nur hohe Ausgaben für das Recruiting, sondern auch ein unruhiges Team, das ständig neue Kolleg*innen einschulen und sich mit veränderten Teamdynamiken auseinandersetzen muss. 

Beim Thema Verwaltungsaufwand wird ständig mit “Effizienz” argumentiert. Natürlich sollten Spendengelder nicht verschwendet werden. Doch eine gute Verwaltung und gute Ausstattung mit Arbeitsressourcen führen doch erst zu effizientem Arbeiten, oder nicht? 

Gute Entlohnung und sinnvolle, aber nicht knausrige Ressourcenbereitstellung für das Team kommen m.M.n. ebenfalls direkt der Mission zugute.

 

Die Spendenden würden…

…das nicht verstehen, hört man häufig. Weil die Spendenden wollen, dass jeder Cent ihrer Spende der Mission zugutekommt. Ich kann das verstehen, aber trotzdem wird hier in meinen Augen ein grundlegender Fehler gemacht. Denn wie schon weiter oben erwähnt: Wenn es sich aufgrund kapitalistischer Zwänge niemand leisten kann, für den guten Zweck zu arbeiten, dann gibt es auch keinen guten Zweck. 

Die Nonprofit Quarterly schreibt dazu in ihrem Artikel: “(…) nonprofits face mixed feelings from the public and funders about whether their employees deserve to earn wages comparable to business or government workers.” 

Ob wir es verdient haben, ist die Frage? Was soll das denn für eine Frage sein?

Im selben Artikel wird eine Umfrage vom amerikanischen Charities Review Council zitiert, die 800 Menschen in Minnesota zu dem Thema befragt hat: 42 % stimmten der Aussage zu, dass Non-Profit-Angestellte gleich viel verdienen sollten, wie Angestellte in For-Profit-Unternehmen. 34 % waren dafür, dass die Gehälter niedriger sind und 14 % sind der Meinung, uns steht nicht mehr als ein Stipendium zu.

Vielleicht sollten wir etwas mutiger werden und anfangen, über dieses Thema zu kommunizieren. Unsere tägliche Arbeit vorstellen, Verständnis dafür schaffen…aufzeigen, dass es für eine NGO ebenso wichtig ist, gute Pressesprecher*innen oder Datenexpert*innen bezahlen zu können, wie für BMW. Dass Campaigner*innen nicht nur hervorragendes Fachwissen, sondern auch strategische Expertise haben müssen, die manchmal selten zu finden und damit viel Wert ist. Dass Fundraiser*innen mit ihrem Können und ihrer Erfahrung den guten Zweck erst mit den nötigen finanziellen Mitteln ausstatten. Dass gute Leute mit viel Wissen und Erfahrung die gute Sache nachhaltig vorantreiben, aber eben auch Geld kosten. 

Wir konnten schon so viel Bewusstsein für allerlei Dinge schaffen – warum nicht auch mal für uns selbst?

 

Unterm Strich…

…ist unser System vollkommen verkehrt. Leistung sollte daran gemessen werden, welchen Wert sie der Gesellschaft bringt und auch entsprechend entlohnt werden. Jobs, die bloß Einzelpersonen reicher machen oder Produkte auf Kosten unseres Ökosystems erschaffen, die niemand braucht, sollten hinterfragt werden – nicht jene, die für unsere Welt unverzichtbar sind. Dafür würde es aber eine 180°-Wendung im Verständnis von (Mehr-)Wert brauchen. 

Lasst uns – als NGO-Menschen – den ersten Schritt machen und aufhören, uns schuldig zu fühlen, wenn wir angemessen verdienen. Lasst uns aufhören, Gehalt als großes Tabu-Thema pfeifend zu umschiffen. Wir müssen sprechen – über Gehälter, über den Wert von NGO-Arbeit für die Gesellschaft, über Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit. 

 

Wer, wenn nicht wir?

 

Lesetipps zu diesem Thema:

Ensemble News: The Nonprofit Pay Problem and What We Can Do about It

Nonprofit AF: When you dont disclose salary range on a job posting, a unicorn looses its wings 

Stanford Social Innovation Review: The Real Salary Scandal

NonProfit Quarterly: Buchanan: Pallotta’s TEDTalk Rooted in “Fallacy and Distortion”

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