Innovation in NGOs: Von Neugierde und Mut zum Scheitern

Zwei Vorträge am österreichischen Fundraising Kongress haben mich dazu inspiriert, über Innovation, Mut und Fehlerkultur in NGOs nachzudenken: “Was Non-Profits von Start-ups lernen können” von Gerhard Pock (Pock Bouman Zidek Advising Organisations) und “Innovation – Wie Krisen zu Chancen werden” von Nora Deinhammer (SOS-Kinderdorf AT). Denn beide haben zwei Dinge besonders hervorgehoben: Um zeitgemäß und relevant zu bleiben, braucht es innovative Lösungen – und für diese braucht es eine gesunde Fehlerkultur. 

Ich denke, viele waren selbst schon mal in dieser Situation: Man hat eine – etwas unkonventionelle, aber spannende – Idee, doch niemand will sie hören oder lässt sich gar auf einen Versuch ein. “Zu riskant”, “Das haben wir vor Jahren schon gemacht und es hat nicht funktioniert”, “Dafür haben wir kein Budget”, “Dafür haben wir keine Zeit” oder ähnliche Antworten bekommt man dann oft zu hören. 

Dabei wäre es so wichtig, neue Wege zu erforschen und dabei neue Ansätze und Lösungen zu finden – besonders für gemeinnützige Organisationen. Wie Nora Deinhammer sinngemäß gesagt hat: “Es braucht Innovation, um auch zukünftig relevant zu bleiben. Man muss sich laufend hinterfragen.”

 

Was versteht man unter Innovation?

Innovation ist sowohl ein organisatorischer und sozialer Prozess als auch ein Produkt. Als Prozess verstanden umfasst der Begriff alles, was Innovation hervorbringt: individuelle Kreativität, Organisationsstruktur, soziale und ökonomische Faktoren und das externe Umfeld. Innovation als Produkt bezieht sich auf den Outcome des Prozesses, also z. B. ein neues Produkt, ein neues Programm, neue Arbeitsmittel und -methoden, etc.

Um als Innovation zu gelten, müssen zwei Kriterien zutreffen: Einerseits muss sie für den Anwendenden, den Anwendungsbereich oder den Kontext neu sein, andererseits muss sie eine Verbesserung (z. B. im Sinne von Effizienz, Effektivität, Nachhaltigkeit oder Gerechtigkeit) im Vergleich zu früheren Lösungen darstellen. (vgl. SSIR: “Rediscovering Social Innovation”)

Innovation kann in allen Bereichen einer NGO stattfinden. Es kann zum Beispiel ein neuer Ansatz zur schnelleren Verteilung von Hilfsgütern in Krisengebieten sein, oder die Einführung von agilen Arbeitsmethoden oder neuen Arbeitsmitteln. Es geht darum, Bestehendes zu hinterfragen und weiterzuentwickeln, neue Angebote zu kreieren und auch unkonventionell scheinende Wege auszuprobieren. 

“Innovation is very personal. (…) It is something that should be applicable to different operations in different ways, and it is about that creativity and ability to think differently about a challenge.” (Chris Earney, Innovation Fund UNHCR)

 

Voraussetzungen für Innovation schaffen

Eines vorweg: Das eine Erfolgsrezept für Innovation in NGOs gibt es nicht. Dafür sind Non-Profits viel zu unterschiedlich (Größe, Struktur, Ressourcen, Strategien, Compliance, …). Doch es gibt wissenschaftlich gut erforschte Voraussetzungen, die innovatives Denken ermöglichen und fördern (vgl. SSIR: “Is your Nonprofit Built for Sustained Innovation?”)

Hand hält Erde mit leuchtender Glühbirne und Hand mit Erde und junger Pflanze

 

1. Ermöglichende und inspirierende Führung

Die Leitungs- und Führungspersonen einer Non-Profit sind in der Verantwortung, ihre Mitarbeitenden durch eine motivierende Vermittlung der Organisations-Vision zu inspirieren. Sie sollten ihre Teams empowern und ein sicheres Umfeld schaffen, in dem ausprobiert und experimentiert werden kann.

2. Neugierde

Neugierige, kreative Mitarbeitende sind das A und O von Innovation. Sie hinterfragen Dinge abseits ihrer Alltagsarbeit, fordern sich gegenseitig heraus und treiben das Team an. Durch Kommunikation, Zusammenarbeit und ein vertrauensvolles Miteinander können fruchtbare, kritische Diskussionen entstehen.

3. Diversität

Diverse Teams setzen sich aus Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen, Erfahrungen, Einstellungen und Möglichkeiten zusammen. Durch diese Vielfalt können neue Blickwinkel entstehen, blinde Flecken identifiziert und die Kreativität angeregt werden.

4. Guter Informationsfluss

Informationen und Insights sollten in einer innovativen Organisation frei fließen können – egal ob sie von innerhalb oder außerhalb kommen. Dadurch wird ein Umfeld geschaffen, in dem alle Beteiligten auf dem selben Wissensstand sind und sich auch außerhalb ihres direkten (Arbeits-)umfeldes einbringen können.

5. Strukturen und Prozesse für neue Ideen

Vielversprechende Ideen brauchen einen sicheren Rahmen, in dem sie gefunden, ausgearbeitet, getestet und in Konzepte gegossen werden können. So lässt sich der gesamte Prozess nachvollziehen und evaluieren.

6. Ressourcen

Natürlich benötigt es auch die entsprechenden Mittel – Geld, Zeit, Wissen, Arbeitsmittel – um einen neuen Ansatz von der Idee bis zur Umsetzung zu bringen. Ideal ist es, wenn jährlich ein gewisses Budget für Innovation reserviert ist.

 

Schwarmintelligenz statt Einzelvisionären

Oft liegt es in den Händen von einzelnen Führungskräften, innovativ zu denken und neue Ansätze ins Team zu tragen. Das hat aber zwei Nachteile. Einerseits sind Führungskräfte weiter weg von der alltäglichen Arbeit in der Organisation und kennen viele Aspekte und Herausforderungen gar nicht, andererseits wird Mehrere Menschen arbeiten zusammen an Ideenso nicht auf die Kreativleistung des ganzen Teams zurückgegriffen. Alle Mitarbeitenden können Innovationstreiber*innen sein. 

Ein Vorteil davon, innovatives Denken im gesamten Team zuzulassen, ist die freie und vertrauensvolle Arbeitsatmosphäre, die dadurch geschaffen wird. Mitarbeitende, die sich mit neuen Ideen einbringen wollen, sind extrem wertvoll für jede Organisation. Sie sind motiviert, kreativ, engagiert und möchten mitgestalten. Finden sie sich in unbeweglichen Strukturen wieder, die ihnen das unmöglich machen, werden sie nicht lange bleiben.

 

Scheitern erlaubt

Wer neue Dinge ausprobiert, muss darauf gefasst sein, dass sie nicht funktionieren. Scheitern ist ein elementarer Bestandteil von Innovation und sollte daher nicht überbewertet werden. Aus Fehlern lernt man – und hätte man es nicht versucht, wäre man nicht schlauer geworden. 

Leider wird jedoch in vielen Organisationen das “Blame Game” gespielt, wie Gerhard Pock richtig kritisierte. Wer sich zu weit aus dem Fenster lehnt, dem wird der Kopf abgeschlagen. Schuldige müssen gefunden werden und es muss Konsequenzen geben. Es ist logisch, dass dieses Vorgehen innovatives Denken ausbremst…bevor man Ärger bekommt, macht man lieber “Dienst nach Vorschrift”. 

Auch Nora Deinhammer betonte, dass Innovation eine gesunde Fehlerkultur braucht und dass das Scheitern dazu gehört. Außerdem gehöre auch Mut dazu: Mut, neue Ideen auf den Prüfstand zu stellen und Mut, sie auch wieder fallen zu lassen. 

 

Neugierde und Offenheit gegenüber Unkonventionellem

Generell sind jene Organisationen, deren Kultur Neugierde und Offenheit gegenüber Unkonventionellem einschließt, innovativer und agiler. Es braucht gelebte Experimentierfreude und das Zulassen von Try-and-Error-Ansätzen, damit man lernen und etwas weiterentwickeln kann. 

Gerhard Pock plädiert dafür, dass wir aufhören zu wissen. Nur so können wir bestehende Lösungen hinterfragen, neues ausprobieren, testen und neue Erkenntnisse erlangen. Die Welt ändert sich und was früher richtig war, muss es heute nicht mehr sein – bzw. gäbe es vielleicht bessere Ansätze. Bewährtes sollte immer wieder hinterfragt werden.

 

Einen sicheren Rahmen bieten

Wie sollte nun aber der Rahmen aussehen, in dem Innovation geschehen kann? Natürlich gibt es überall Regeln und Leitlinien, die das Handeln der Organisation und ihrer Mitarbeitenden in eine gemeinsame Klammer setzen und die Qualität der Arbeit sichern – z. B. Ethikregeln. Diese geben den allgemeinen Rahmen vor, der weiter spezifiziert werden kann, z. B. durch Zielvorgaben oder die Voraussetzung, dass eine Lösung auch auf andere Länder/Projekte/Büros skalierbar sein muss. 

Ein guter Weg kann es sein, ein interdisziplinäres Team zusammenzustellen, das sich mit den neuen Ideen und deren Umsetzungen innerhalb des gesetzten Rahmens beschäftigt. So hat es z. B. UNHCR gemacht. Es ist aber auch möglich, Kooperationen und Plattformen zu nutzen. Diesen Weg hat SOS-Kinderdorf eingeschlagen, wie Nora Deinhammer berichtete. So entstand das Innovation Lab der Organisation, SKIL

 

Priorisieren, testen, überarbeiten, umsetzen

Zu jeder Herausforderung kann es unzählige Lösungsansätze geben. Diese Ideen müssen in einem ersten Schritt analysiert und priorisiert werden. Dann können die ersten “Prototypen” ausgearbeitet werden, die dann in kleinem Rahmen getestet werden. Dabei sollten alle Beteiligten miteinbezogen werden (also z. B. auch die Begünstigten des Projektes). Dieses Feedback ist dann für eine Überarbeitung und Verfeinerung des Konzeptes nützlich. Hat sich die Idee im Kleinen bewährt, kann sie skaliert und in der ganzen Organisation umgesetzt werden. 

Beim letzten Schritt, also der Umsetzung, haben kleinere Organisationen einen großen Vorteil. Sie müssen nämlich keine eingespielten, starren Strukturen verändern und sind insgesamt beweglicher. Große NGOs können hier vor schwierigen Herausforderungen stehen, vor allem dann, wenn die Innovation sich auf die Arbeitsweise der Mitarbeitenden auswirkt. Da kann es – wie bei jedem Change-Prozess – zu Unsicherheiten und Ängsten kommen, mit denen man sich auseinandersetzen muss. 

 

Resilienz durch Innovation

Wer sich und seine Arbeit laufend hinterfragt und innovative Ansätze testet, ist auch eher in der Lage, sich auf veränderte Rahmenbedingungen einzustellen. Durch Innovation können NGOs z. B. Wege finden, um mit gestiegenen Kosten und zunehmender Unsicherheit umzugehen, neue Zielgruppen erschließen oder den Kreis der Begünstigten erweitern. Innovation sollte aber nie allein um der Innovation Willen stattfinden, sondern um etwas besser zu machen. 

Innovation ist auch nichts Statisches, sondern ein dynamischer Prozess, der in den Arbeitsalltag integriert werden muss. Dabei ist jedoch wichtig, dass die Organisation eine gute Balance zwischen Routine und Innovation hält. Denn nur auf einer stabilen Basis kann etwas Nachhaltiges entstehen, wenn wir anfangen, Fehler zu akzeptieren und aus unserem Scheitern zu lernen. 

 

Interessante Links:

 

UNHCR Innovation Fund

 

SOS-Kinderdorf Innovation Lab:

 

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