Metaverse 4 Good? Warum sich Non-Profits mit dem Metaversum befassen sollten

Sich das Metaverse vorzustellen, ist heute wohl ähnlich schwierig, wie es in den 1970er-Jahren war, sich das Internet vorzustellen. Damals war es kaum denkbar, dass das Web einen so zentralen Stellenwert in unserer Gesellschaft erlangt. Auch das Mobiltelefon, bzw. das mobile Internet ist eine vergleichbare Entwicklung, die vieles in unserer Welt verändert hat.

Meta rechnet damit, dass in ca. zehn Jahren mehr als eine Milliarde Menschen im Metaverse unterwegs sein werden. Sollte das stimmen, wird es unseren Alltag beeinflussen und neue Berufe schaffen. Um dem gerecht zu werden, soll in Frankreich die erste Metaverse Academy entstehen. Doch noch sprechen wir von einer Vision. Derzeit arbeiten unterschiedliche Unternehmen und Organisationen im Rahmen des Metaverse Standard Forums an der Entwicklung von technischen Standards für die neue 3D-Welt. 

 

Was ist das Metaverse?

Das Metaverse – auf Deutsch auch Metaversum genannt – steht für eine virtuelle digitale Welt, die sowohl in reiner Virtual Reality Form als auch in Augmented Reality Form bestehen kann.” (vgl. Contentmanager.de). Menschen bewegen sich darin als “Avatar” und können mit den Inhalten interagieren, Produkte und Dienstleistungen kennenlernen, an Events teilnehmen, Spiele spielen, sich virtuell treffen uvm. Es könnte z. B. digitale Shoppingmeilen, digitale Kinos, Cafés, Parks, Werbetafeln, Museen etc. geben. Im Grunde ist es also ein 3D-Internet, in dem vieles möglich sein wird.

Die Technologie dahinter basiert auf AR (“Augmented Reality”) und VR (“Virtual Reality”), viele setzen obendrein auf Blockchains. Denn gehandelt wird in Metaversen derzeit mit bekannten Kryptowährungen, oder mit eigens für das jeweilige Metaversum geschaffenen “Coins” oder “Tokens”. Um ein Metaversum zu betreten, braucht es entsprechende Hardware: z. B. VR-Brillen oder Smart Glasses. 

“Das Metaversum” besteht aus vielen einzelnen Metaversen, die nach der derzeitigen Vision nahtlos verbunden und “betreten” werden können. Diese Gesamtheit wird von niemandem besessen und kann von allen mitgestaltet werden – eben genau so wie das heutige Internet. Anstatt die Inhalte nur auf dem Bildschirm wahrzunehmen, kann man sich mit seinem Avatar hindurch bewegen und mit ihnen oder anderen Menschen interagieren. 

Es existieren bereits mehrere Metaversen, die jedoch alle noch in den Kinderschuhen stecken. Einige Beispiele sind:

Was sind NFTs?

NFTs (“Non-fungible Tokens”) könnten zukünftig eine wichtige Rolle in den Metaversen spielen. NFTs sind digitale Assets, die einzigartig und nicht austauschbar sind. Sie existieren auf der Blockchain und nur eine einzige Person kann Eigentümer*in davon sein und sie weiterverkaufen. Im Grunde kann ein NFT alles sein: digitale Kunst, Musik, Videos oder verschiedene Items in Spielen oder im Metaversum (z. B. exklusive Kleidung für Avatare). 

Aktuell wird der Handel mit NFTs stark gehyped. So erzielte z. B. der allererste Tweet von Twitter-CEO Jack Dorsey einen Kaufpreis von 2,9 Millionen USD. Das Geld wurde übrigens an die Non-Profit Give Directly gespendet. Jetzt stellt sich einem die Frage, warum ein Tweet, der einfach gescreenshottet und gespeichert werden kann, um so viel Geld gekauft wird? 

Es wird etwas verständlicher, wenn man einen Vergleich heranzieht: Jeder kann ein Poster der Mona-Lisa besitzen, aber das Original gibt es nur ein einziges Mal. Genauso ist es mit NFTs – auch die gibt es im Original nur einmal (oder in begrenzter “Auflage”).

Es ist den Erstellern von NFTs auch möglich, “Stipulations” zu ihren NFTs hinzuzufügen. Dadurch erhalten sie nicht nur einmal den Kaufpreis, sondern Anteile von jedem Weiterverkauf.

 

Gesunde Skepsis ist angebracht

Wie jede revolutionäre Technologie wird auch das Metaversum zu radikalen Veränderungen führen. Diese sollten bereits jetzt bedacht werden, damit wir nicht mit Lösungen hinterher hinken, wie heute in Bezug auf die kritischen Auswirkungen des Web 2.0.

 

Gesellschaftliche Veränderungen

Das Metaversum soll eine realistisch anmutende, digitale Version der echten Welt werden. Dadurch entsteht eine Art Paralleluniversum, was sich auf unser soziales und berufliches Leben auswirken wird. Daher sollten wir uns fragen, was es mit dem sozialen Wesen Mensch, mit unseren Körpern und Psychen macht. Werden wir unsere Kolleg*innen zukünftig nur noch als digitale Avatare kennen? Unsere Freund*innen im digitalen Kino treffen, während wir Zuhause am Sofa sitzen? 

Der – zuletzt umstrittene – deutsche Philosoph Richard David Precht äußerte im OMR-Podcast Bedenken, dass das Metaverse eine Art digitales Abstellgleis werden könnte, wo Menschen, die im echten Leben keine Anerkennung erhalten, digitalen Ersatz finden. Außerdem gibt es kritische Stimmen, die vor einem Realitätsverlust warnen. Menschen laufen Gefahr, sich in der digitalen Welt zu “verlaufen” und den Bezug zum echten Leben zu verlieren.

Angie Gifford von Meta betont: “Ein wertebasierter Einsatz von Technologie bedeutet, zu verstehen, dass Technologie als Werkzeug immer erst einmal neutral ist. Erst ihr Einsatz und ihre spezifische Anwendung macht sie wertstiftend oder nicht. Das heißt, wir müssen alle miteinander sicherstellen, dass wir Technologie verantwortungsvoll und inklusiv einsetzen. Technologische Innovationen und Entscheidungen sind nur dann richtig, wenn sie auch für die Menschen in unserer Gesellschaft gut sind.

Inwieweit sich dies gerade ein gewinnorientierter Konzern wie Meta zu Herzen nehmen wird, sei hier erstmal infrage gestellt.

 

Bedenklicher Energieverbrauch

Da die derzeitige Vision des Metaversums Kryptowährungen und NFTs als zentrales Element beinhaltet, stellt sich in Zeiten des Klimawandels die Frage nach der Umweltverträglichkeit von Blockchains. 

 

Krypto: “Proof of Work” vs “Proof of Stake”

Laut dem Cambridge Bitcoin Electricity Consumption Index verbraucht das Mining (“Schürfen”) von Bitcoins in einem Jahr

Screenshot des Tweets von Elon Musk zum Energieverbrauch von Bitcoin
Elon Musk kritisiert den Energieverbrauch von Bitcoin auf Twitter

113 Terawattstunden – mehr als die Niederlande. Dieser Stromverbrauch kommt v.a. beim “Schürfen” nach Bitcoins in riesigen Serverfarmen zustande, aber auch durch das “Proof of Work”-Verfahren. Dabei werden Transaktionen  abgesichert und geprüft – es ist quasi die “Buchhaltung” der Blockchain, die weltweit Millionen Rechenvorgänge benötigt, um die Richtigkeit eines “Schürf-Vorgangs” zu beweisen. Es kommt bei Bitcoin und anderen Blockchains wie Ethereum oder Litecoin zum Einsatz.

Spätestens seit der Kritik von Elon Musk an dem hohen Energieverbrauch etablieren sich aber energieeffizientere Verfahren wie “Proof of Stake”. Dabei sichern nur einzelne, zufällig ausgewählte “Buchhalter” die Transaktionen ab. Das braucht weniger Rechenleistung und senkt den Stromverbrauch stark. Ethereum hat schon vor längerer Zeit angekündigt, sein Verfahren umzustellen, einige weniger bekannte Blockchains arbeiten bereits damit. 

 

Grüne Energie

Laut der 3. Global Cryptoasset Benchmark Study stammten im September 2020 rund 39% der Energie für Blockchains aus erneuerbaren Energiequellen. 2018 waren es noch 28%. Die Deutsche Energieagentur dena untersuchte in einer Studie sogar den Beitrag, den Blockchains für die Energiewende haben können: Blockchain in der integrierten Energiewende

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace, einige große Player der Krypto-Branche und andere Gruppen haben sich dieser Problematik angenommen und eine Kampagne namens “Change the Code, not the Climate” ins Leben gerufen.

 

Krypto- und NFT-Handel: Suche nach dem “next greater fool”

Der Hype rund um Kryptowährungen ist in erster Linie eines: ein Hype. Der Wert der “Coins” wird nur durch den freien Handel bestimmt und unterliegt damit sehr hohen Schwankungen. So könnte es z. B. passieren, dass eine Spende via Bitcoin, die zum Zeitpunkt der Transaktion umgerechnet 10.000 USD wert war, schon eine Stunde später nur noch 7.000 USD wert ist. Damit sind Kryptowährungen als Zahlungs- und Spendenmittel kaum geeignet. Eher sind sie Spekulationsobjekte, die oft mit Schneeballsystemen verglichen werden.

Um mit Kryptowährung Gewinne zu erzielen, braucht es immer jemanden, der bereit ist, noch mehr für die Coins zu zahlen als man selbst. Dieser wiederum kauft in der Hoffnung, weitere Abnehmer*innen zu finden, die zu einem höheren Preis kaufen. In der Finanzwelt spricht man bezeichnenderweise auch vom “next greater fool”-Prinzip. Wer diese Transaktionskette logisch weiterdenkt versteht, dass früher oder später – wenn es keine weiteren “fools” mehr zu finden gibt – die Coins wertlos werden und die letzten Abnehmer*innen auf ihrer Investition sitzen bleiben werden.

Ob der Kurs von Kryptowährungen und NFTs (“Non-fungible Tokens”) steigt oder fällt, unterliegt Mechanismen, die nicht vorhersehbar sind. Zum Beispiel verlor Bitcoin enorm an Wert, als Elon Musk auf Twitter seine Kritik am hohen Energieverbrauch veröffentlichte. Wird jedoch von bekannten Unternehmen oder Personen ein hoher Betrag investiert, steigt der Kurs. Er ist also sehr stark von den Entscheidungen und Meinungen einzelner Akteur*innen abhängig.

Die derzeitige Vision des Metaversums sieht Krypto als zentrale Währung für Transaktionen vor. Berücksichtigt man das oben erklärte Prinzip, liegt der Verdacht nahe, dass durch Metaversen viele weitere Menschen dazu gebracht werden sollen, Krypto zu kaufen und damit zum “next greater fool” zu werden.

In dieser Session auf der re:publica 2022 wird die Kritik an diesem System anschaulich verdeutlicht:

 

Wer noch tiefer in die Materie eintauchen will, dem möchten wir dieses etwas schräge, aber informative (englischsprachige) Video ans Herz legen:

 

 

Jetzt ist der Zeitpunkt, um etwas Gutes für die Gesellschaft zu entwickeln

Es gibt schon heute viele Dinge, die in ihrem Kern sehr kritikwürdig sind (z. B. das daten- und werbebasierte Geschäftsmodell von Meta). Dennoch sind sie gesellschaftlich so wichtig geworden, dass sie zu relevanten Kanälen wurden – auch für die Finanzierung und Bekanntmachung gemeinnütziger Projekte. Es könnte sein, dass “traditionelle” soziale Medien in 10 bis 20 Jahren durch Metaversen ergänzt oder sogar abgelöst werden.

Ob die derzeitige Vision eines Metaversums Realität wird oder nicht, kann heute noch nicht prophezeit werden. Doch die Idee existiert und viele Tech-Giganten sind auf den Zug aufgesprungen. Mir persönlich wäre wohler dabei, wenn sich jetzt schon vertrauensvolle Akteurinnen wie NPOs daran beteiligen würden, eine gesellschaftlich bereichernde Anwendung der Technologie zu finden. Mir wäre auch wohler dabei, wenn es letztlich ein Metaversum MIT Non-Profits werden würde.

 

Regularien für ein gewaltfreies Miteinander

Es gibt bereits jetzt erste Fälle von Diskriminierung, Sexismus und Rassismus im Metaversum. Hier braucht es engagierten Aktivismus, um von vornherein Regularien zu schaffen, die eine zwingende rechtliche Grundlage für die Betreiber bedeuten, und um Opfer zu unterstützen. Sonst könnten Erfahrungen, wie sie die Bloomberg-Kolumnistin Parmy Olsen gemacht hat, zum Alltag im Metaversum werden. Non-Profits wären die passende Instanz, um Werte wie Inklusion, Gleichberechtigung, Menschenrechte, Solidarität und Ökologie im Metaversum zu vertreten und zu verankern. Das Metaversum darf kein rechtsfreier Raum werden. Wir sollten das nicht gewinnorientierten Unternehmen überlassen.

 

Ökologische Vertretbarkeit und grüne Energie

In Zeiten des fortschreitenden Klimawandels müssen wir den Energieverbrauch von neuer Technologie beachten und Wege finden, um ihn zu minimieren. Das kann im Fall von Blockchains mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen und einer vollständigen Umstellung der Prüfverfahren auf “Proof of Stake” gelingen. 

Cryptomining (also das “Schürfen” von Kryptowährung) müsste insofern reguliert werden, dass die Stromversorgung der Rechner mit grüner Energie gewährleistet ist und die Kühlung der Geräte mit geringem Energieverbrauch stattfindet. 

 

Entkoppelung von Kryptowährung

Eine “Währung”, die mehr einem Lottoschein gleicht als einem stabilen Wert, ist kein geeignetes Zahlungsmittel für die breite Masse. Handel sollte im Metaversum also nicht nur mit Bitcoins & Co möglich sein, sondern mit allen – bereits vorhandenen und zukünftigen – E-Payment-Arten. So ist sichergestellt, dass Menschen kein Spekulationsrisiko in Kauf nehmen müssen, um im Metaversum zu agieren. Das ist eine wichtige Voraussetzung, um die Vision eines neuen digitalen Sozialraumes für alle zu realisieren. Dadurch wäre es auch für Non-Profits sicherer, Spenden im Metaversum zu sammeln.

 

Zugänglichkeit sicherstellen

Noch ist die notwendige Hardware, um ein Metaversum zu betreten, kostspielig. Das mag sich zukünftig ändern, wenn gewinnorientierte Unternehmen ein Interesse daran entwickeln, möglichst viele Menschen über diesen Kanal zu erreichen. Trotzdem sollte man auch diesen Aspekt im Hinblick auf Inklusion und Niederschwelligkeit im Blick haben. Schon heute haben z. B. Kinder, deren Familien sich keine PCs oder LapTops leisten können, einen großen Nachteil in der Schule und im Sozialleben. Unternehmen, die Homeoffice ermöglichen und ihre Meetings zukünftig im Metaversum abhalten wollen, müssen den Mitarbeitenden entsprechende Hardware zur Verfügung stellen können. 

 

Viele Kritikpunkte, aber auch viele Chancen

Technologie sollte niemals um der Technologie Willen genutzt werden, sondern um konkrete Ziele zu erreichen. All die genannten Kritikpunkte können – und sollten – jetzt adressiert und gelöst werden, um eine vernünftige Entwicklung der Vision Metaversum sicherzustellen. Ob die Präsenz im Metaverse eines Tages so selbstverständlich für NPOs sein wird, wie heute die eigene Website, ist kaum vorhersehbar. Dennoch sollten sie sich schon heute im Sinne ihrer Missionen einbringen, sich Ziele und mögliche Strategien für das Metaversum überlegen und sicher in der Schublade aufbewahren. Von Spendenakquise über Spender*innen-Bindung bis hin zum Erlebbar-machen von Projekten und Programmen bieten sich theoretisch viele Möglichkeiten für NPOs. 

Bis es tatsächlich soweit ist, könnten aber noch ein bis zwei Jahrzehnte vergehen. Zeit genug also, um sich erstmal ein VR-Headset für die ganze Organisation zu besorgen, gemeinsam im Team die Technologie zu erkunden und die Potentiale für die eigene Mission zu entdecken. Denn Technologie ist immer nur so gut wie die, die sie verwenden.

Einige Ideen, Gedankenspiele und erste Erfahrungen von Non-Profits im Metaversum möchten wir Dir in diesem Artikel näher bringen: Non-Profits im Metaversum: Chancen für Fundraising, Awareness & Communities?

 

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